Film: Girl

 

Regie: Lukas Dhont

Im Kino ab: Oktober

Länge: 100 min

FSK: 12

 

Meine Kritik

 

Lara ist 15 Jahre alt und gerade an einer der besten Ballettschulen angenommen worden. Trotzdem gibt es ein Problem: Lara war nicht immer Lara. Doch der Junge der sie mal war hat sich in seinem Körper nicht wohlgefühlt. Lara will ein Mädchen sein ganz und gar. Doch dafür fehlt ihr noch die nötige Hormontherapie und die für sie wichtige Operation. Bis es soweit ist muss sie sich Gedulden, Bhs tragen, ihre Geschlechtsorgane wegkleben und lernen spitze zu tanzen. Dabei fangen normale Mädchen spätestens mit 12 an spitze zu tanzen, Lara muss eine ganze Menge aufholen, sich die Gesichter der anderen Mädchen anschauen, das Geflüster hinter ihrem Rücken ertragen, die Blicke in der Umkleide aushalten und dann auch noch durch das auf und ab ihres neues Hormonhaushaltes kommen. Sie hat es nicht leicht, vor allem da sie für ihren Traum eine Ballerina zu werden alles geben würde, auch die Schmerzen in ihren Füßen und die Erschöpfung die sie an den Rand des Möglichen treiben. Ihre Ärzte wollen sie nicht operieren, wenn sie körperlich nicht fit ist und ihr betreuende Psychologe will immerzu antworten haben. Aber Lara hat keine Antworten. Sie fühlt sich noch nicht wohl, sie weiß nicht wer sie ist und wen sie liebt. Ist es der Junge aus ihrem Wohnblock? Und wie soll sie sich auf ihn einlassen, wenn sie selbst weder richtig männlich noch weiblich ist?

 

Das Thema Transgender ist den letzten Jahren auch immer mehr in den Fokus der Filmwelt gerückt. Die deutsche Antwort kam 2015 mit „Mein Sohn Helen“. Auch die Berlinale zeigte Filme wie „52 Tuesdays“ in dem eine Mutter die Verwandlung zum Vater hin macht und die Kamera begleitete sowohl im dokumentarischem Stil wie auch in einer fiktiv erzählten Geschichte das Geschehen. Eben so könnte man den Ansatz hier verstehen. Victor Polster dessen wirklicher Name auch einmal im Film fällt, scheint hier nicht als Schauspieler vor der Kamera zu stehen sondern als realer Charakter der nicht nur spielt sondern tatsächlich Lara ist. Der Stil hier ist ebenfalls dokumentarisch und verstärkt dieses Gefühl das man hier eine reale Geschichte erzählt in der die Figuren nur auf etwas zugespitzter Art und Weise sich selbst darstellen. Umso verblüffender ist die Antwort. Victor Polster ist zwar Balletttänzer, was man nach den Bildern nicht bestreiten kann, aber er ist nicht Transgender und auch nicht dabei eine Verwandlung in dieser Art durchzuführen. Polster ist „nur“ Schauspieler und das in einer Form das man nicht nur während des Films immer wieder seiner Darstellung begeistert zuschauen muss, sondern erst recht wenn einem klar wird das er hier nur spielt und nicht aus eigener Erfahrung schöpft. Das lässt sich kaum noch mit Worten beschreiben oder loben, denn was Polster hier schafft ist etwas das es nur selten zu bestaunen gibt. Er führt die Zuschauer hinters Licht, zeigt ihnen eine Person die es nicht gibt, die er aber so glaubhaft verkörpert, das man nicht glauben mag das es nur gespielt ist. Polster stellt alles bisher gesehene in den Schatten und bekommt nicht zu unrecht lobende Kritik. Aber ohne eine wirklich so berührende, starke Vorlage wie Dhont sie liefert hätte auch Polster nicht das darstellen können was er tut. Girl ist eine wahnsinnig genaue, tiefgründige, feinfühlige Erzählung die es schafft auf der Länge von 100 Minuten einen den Meisten doch recht fernen Charakter sehr nah zu bringen. Dabei mag der Regisseur auch gerne über Grenzen gehen. Der abgehärtete Zuschauer hat vielleicht schon vieles gesehen, Dhont versucht genau da anzusetzen und eben diese noch möglichen Grenzen zu überschreiten. Damit schafft er Gesprächsgrundlage und Diskussionen und definitiv Aufmerksamkeit. Er hält drauf mit der Kamera auch wenn es schon schmerzt zuzuschauen und ermöglicht somit das Bild eines jungen Mädchens zu kreieren das für ihre Träume alles tun würde. Diese starke Persönlichkeit mit den verletzlichen Kanten und Ecken ist etwas das man selten in einer solchen Form sieht. Erschreckend realistisch ist das Bild und schockierend drückt Dhont immer tiefer in eine Wunde von der man gar nicht wusste das sie da war. Mit Girl setzt Dhont dem Thema Transgender die Krone auf und ermöglicht noch einmal einen ganz anderen Blick auf das Thema. Ein Film auf den man nicht vorbereitet sein kann, selbst wenn man denkt das man es ist.

 

Meine Meinung: